SF: Oscar - The Modular Body

Ich fühle mich als Buch- und Textautorin gerade richtiggehend behindert. Manche halten ja schon die 1:1-Digitalisierung eines Printbuchs für zu modern. Aber was man mit heutigen Technologien wirklich erzählen kann, reizt kaum jemand aus. Es sind Geschichten, die erfunden und produziert werden wie ein Film. Aber durch Social Media nutzen sie den Polarisierungseffekt, Leichtgläubigkeit und Sharing-Durst: Sie machen sich selbstständig.


"Oscar The Modular Body" ist eine Science-Fiction-Geschichte des niederländischen Videokünstlers Floris Kaayak. Noch keine Woche im Netz, macht obiger Zusammenschnitt bereits die Runde bei Facebook und die Leute fallen reihenweise darauf herein. Ist es wahr, ist dieser miese Wissenschaftler Cornelis Vlasman in seiner unethischen Hybris nicht doch echt, zumindest denkbar? Oder haben uns die ach so bösen Medien mal wieder den Knaller verschwiegen? Steckt dahinter die Verschwörung von Hightech-Laboren? Oscar lässt keinen wirklich kalt, die Geschichte setzt sich fort, indem jeder seinen eigenen Senf dazu gibt, das Video deutet, umschreibt ...

Die gesamte Geschichte wird über die Website "The Modular Body" erzählt, die allein von Programmierung und Aufmachung her ein Vergnügen ist: 56 Videos lassen sich mit der Maus entdecken, wenn man den Trailer angeschaut hat. Floris Kaayk hat sich bewusst gegen lineares Erzählen entschieden und trotzdem wirkt die Website kohärent und logisch. Zusammen mit den Entwicklern hat er sich einen Effekt zunutze gemacht, mit dem auch Facebook arbeitet: Schauen wir uns Video C an, wählen Algorithmen die passenden Videos R und W aus. Beginnen wir dagegen mit Video A, folgen vielleicht Video M, S und T. Auf diese Art erschaffen wir die Geschichte bei jedem Website-Besuch neu. Erschaffen wir sie wirklich selbst? Wir unterwerfen uns den Algorithmen, wie so oft.

Floris Kaayk spielt genial auf dieser Klaviatur: Der wahre Grusel steckt nicht im Plot oder den Bildern, sondern in seiner Nähe und Verwechselbarkeit zur Realität. Unsere Augen schwindeln uns vor, alles, was wir sähen, sei real - und doch oszillieren wir hilflos zwischen Fake und Dokumaterial, zwischen Verschwörungstheorien und wilder Künstlerfantasie, zwischen vorsätzlich Gebautem und in Social Media dumm Kolportiertem. Das kommt nicht zuletzt daher, dass der Künstler die Sprachgewohnheiten bricht: Er erzählt seine Science-Fiction-Geschichte nicht wie einen Roman, sondern wie eine Wissenschaftsdoku, er imitiert Sendeformate der Ernsthaftigkeit für eine ausgesponnene Story. Nichts von dem, was er erzählt, ist in absehbarer Zeit in der Wirklichkeit zu machen. Aber alles, was er erzählt, hat mit Versuchen und Gedanken zu tun, die unsere Zukunft betreffen. Hier wird eine einfache Story zum Sozialexperiment, zum Zündstoff. Wir entlarven uns dabei auch ein Stückchen selbst: Was wollen wir glauben und was wissen wir wirklich? Wie vorschnell gehen wir mit medialen Inhalten um?

Es lohnt sich, sich die Zeit zu nehmen für einen Ausflug in die dystopische Welt von Oscar, dem Modulwesen. Vielleicht an einem Abend statt Fernsehen.

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