Eine Lehre in Geduld

Es heißt, man könne nur dann langfristig Künstlerin sein, wenn man auch Geduld und Ausdauer in sich habe. Gar nicht so einfach! In meinem Beruf bin ich eigentlich ein extrem ausdauernder Mensch und Geduld muss ich schon deshalb haben, weil sich bei mir ein Buch nicht in zwei Monaten herunterratzt. Ich kann auch Probleme geduldig von allen Seiten betrachten und ertragen, bis ich dann - für andere scheinbar völlig ungeduldig - einen Schlussstrich ziehe, wenn sie sich nicht lösen lassen. Bin ich ein geduldiger Mensch?

Mich inspirieren archäologische Funde, denen ich mit ungewöhnlichen Materialkombinationen neues Leben gebe: Papierperlen mit Kupferpulver, ungeschliffener Bernstein, polierter Goldstein und gedrehte Glasperlen aus Böhmen.

Eigentlich bin ich das Gegenteil. Ich werde ungeduldig, wenn ich eine Vokabel beim dritten Mal nicht weiß. Und unleidlich, wenn sich ein Plotproblem nur mit größeren Umschreibprozessen lösen lässt. Ich kann es an vielen Tagen nicht leiden, beim Bäcker anstehen zu müssen, bis alle ihr Schwätzchen gehalten haben, und bestelle immer öfter Dinge im Internet nur deshalb, weil ich es satt habe, Dutzende von Kilometern dafür zu fahren, um sie dann doch nicht zu finden. Wenn mich an solchen Tagen eine Behördenangestellte ungerecht auflaufen lässt, könnte ich wie das HB-Männchen explodieren und wie Louis de Funès in seinen Filmen schimpfen. Und in diesem Zusammenhang das Wichtigste: Handarbeiten waren mir als Kind ein Grauen. Weil ich es zwar spannend fand, mir Dinge und Muster auszudenken, die Ausführung aber immer zu lang dauerte.

Ausgerechnet ich suche mir nun für mein drittes (viertes?) Standbein, die Schmuckproduktion, ein Sujet aus, für das man nicht nur ruhige Hände, sondern auch viel Geduld braucht. Viel zu viel Geduld. Kunst eben ...

Ich habe anfangs die Sache mit dem Schmuckverkauf echt unterschätzt. Ein Blick in andere Dawanda-Shops und die Bastelszene hat mich schnell belehrt, dass hier noch schlimmer "geklaut" wird als bei den schreibenden UrheberInnen. Wieso kaufen, wenn man abgucken und nachmachen kann? Wieso selbst machen, wenn es die Grundware zu Spottpreisen aus Afrika, Indien oder China gibt? Damit lässt sich preislich in Europa absolut nicht konkurrieren. Der Rat einer Freundin war also wertvoll: "Du musst etwas unverwechselbares, absolut Individuelles schaffen. Einzelstücke, deren Teile man nicht zusammenramschen kann."

Das Drehen von Regenbogen entstand zur Übung von Fingerfertigkeit beim Fernsehen. Leider war der Krimi dann so spannend, dass ich die Farbreihenfolge nicht mehr beachtete und sogar ins Weiß abrutschte. Aufrollen war mir aber nicht genug, ich testete ein Formverfahren, das man in Indien entwickelt hat. Was mache ich nur damit? So entstehen Ideen ...
Inzwischen sind meine Zutaten und Prototypen so weit gediehen, dass ich mir gezielt das Zubehör kaufen kann: Bänder, Leder, Kettenteile, Verschlüsse, Zwischenringe ... was man so zum Schmuckmachen braucht. Und natürlich werde ich auch meinem privaten Faible fröhnen: Kristallglasperlen aus Böhmen. Keine schlechte Kombination zu Papier, finde ich. Als Schriftstellerin habe ich mich nämlich für Papierperlen aus eigener Produktion entschieden. Für 20 Cent findet man das Stück, das in Billigstlohnländern hergestellt wird. SchnäppchenjägerInnen werden sagen, mehr ist Papier doch auch nicht wert ...

Ich dagegen betrachte das Perlenmachen inzwischen wie eine Aufzucht von Küken. Man muss die Stücke ganz schön betüddeln und ziemlich lange aufziehen! Die Auswahl des Papiers und der richtige Schnitt sind schnell gemacht, man bekommt ein Auge dafür und sammelt entsprechend. Wie gut, dass ich bei einem Straßenflohmarkt die kaputten Bücher aus dem 19. Jahrhundert mitgenommen habe, die keiner wollte, weil die Buchdeckel fehlten und die Blätter stockfleckig waren und auseinanderfielen! Nach dem Schneiden wird gedreht, immer straff und regelmäßig. Am Anfang habe ich mir blutige Daumen geholt, weil ich nicht daran gedacht habe, wie scharf Papier schneiden kann.

Für die Romantikerinnen à la Lavendelblues. Es fasziniert mich, Klischees aus Comics mit "Süßem" aus einem uralten Gebetsbuch zu kombinieren. Das sind die Rohlinge, die versiegelt und lackiert werden müssen. Und zwischen den Arbeitsgängen fein geschliffen. Das Herz wird zum Anhänger, der Frosch zur Brosche.
Die Ungeduldige in mir wäre dann gern fertig. Sieht doch wie eine Perle aus, klasse. Aber jetzt beginnt erst die Arbeit, denn noch ist das nur Papier. Feuchtigkeitsempfindlich, reißbar, leicht schmutzend, viel zu weich.

Papierperlen vor dem Lackieren (li.) und danach (re.). Entstanden sind sie aus dem Cover einer Edelzeitschrift. Also Recycling und Upcycling in einem. Auch Hochglanzwerbung bekommt so noch einen Sinn.
Im nächsten Arbeitsgang wird jede einzelne Perle von Hand mit dem Pinsel versiegelt. Wenn der Vinylkleber ausgehärtet ist, ist die Perle sozusagen "polymerisiert". Nach zwei Schichten ist sie hart wie Weichholz und wasserabweisend. Schwachstelle sind natürlich die Öffnungen - dafür habe ich ein eigenes Tauchverfahren entwickelt. Ich, die Ungeduldige! Denn allein dieser Vorgang braucht einen Trockenvorgang von einer Nacht. Trocknen die einzelnen Schichten nicht lange genug durch, bricht die Oberfläche. Ich bekomme langsam ein Gespür, welche Papiere wie reagieren. Am ekelhaftesten ist das weiche Recyclingpapier der Lustigen Taschenbücher. Das Papier aus dem 19. Jahrhundert nimmt manche Lacke sehr übel. Denn das ist der nächste Schritt: Nach dem Versiegeln kommt der Lack. Je nach Papier und gewünschten Glanz noch einmal 2-3 Schichten - mit den nötigen Trockenzeiten. Habe ich Ungeduldige gesagt, ich wolle gleich eine Kette fädeln? Nein, im Gegenteil. Ich entwickle wahrhaft masochistische Ideen: Wenn ich nun an die Enden einer Perle noch etwas Metallpulver aufstäube? Oder gar Anlegemetall oder echtes Blattgold auftragen würde? Was natürlich wieder Versiegelung und Trockenzeit braucht ...

Das reizt mich. Ich habe schon alte Bilderrahmen von Hand vergoldet - aus jener Zeit stammt die Kurzgeschichte um eine Ikonenfälscherin in meinem Buch "Blaue Fluchten". Ich wusste, was meine Fälscherin anzurühren hatte! Echtes Gold und Papier, Luxus und Recycling .. das wäre etwas. Noch taste ich mich mit Metallpulvern vor, um zu üben.

Eine moderne, klare Linie. Edle Materialien: Hämatit, böhmische Lüsterperlen und Perlen aus Künstlerpapier.
Im Geist sehe ich das Design mancher Schmuckstücke schon vor mir, träume sogar nachts davon. Als nächstes kommt die Bestellung beim Großhändler, eine harte Arbeit für sich: Aus einem Onlinekatalog von tausenden von Teilen aus aller Welt genau das herauszusuchen, was man braucht, in den richtigen Größen. Nicht jedes Material passt durch jede Perle. Und dann beginnt die "Kür" auf die ich so lange warte. So ungeduldig.

Gleichzeitig mache ich mich mit der Gesetzeslage vertraut: Über die Vorraussetzungen, künstlerisch Einzelstücke zu schöpfen. Wie eine AGB auszusehen hat. Wie man Produkttexte ansprechend, aber exakt genug schreibt - am liebsten in mindestens zwei Sprachen. Den Shop bei Dawanda in dieser Hinsicht wasserdicht zu installieren und ansprechend zu gestalten, wird auch seine Zeit brauchen. Dann aber ist es so weit - man wird das kaufen können, was aus dem hier gezeigten und noch vielem anderen entsteht. Irgendwie findet alles wie von selbst in die Linien, die mich persönlich schon immer faszinierten: Es wird Schmuck geben, der von alten Fundstücken aus der Steinzeit und bis zur Völkerwanderung inspiriert ist. Eine eher romantische Linie zum Thema Rosen wie im "Lavendelblues". Eine grafisch klare Linie, modern. Und da schlummert noch eine Regenbogenidee ...

Ach ja: Ich schreibe natürlich noch. Eigenartigerweise mit sehr viel mehr Geduld als zuvor.

4 Kommentare:

  1. Ich mag die von dir gezeigten Papierperlen unheimlich gerne und finde es spannend immer wieder zu sehen, an welcher Stelle du gerade (zumindest nach deinen Blogbeiträgen) du damit stehst.

    Ich finde ja, dass relativ mechanische Handarbeit (bei mir ist es eher das Stricken von simplen Socken oder das Backen) und Kreativität sehr gut ineinandergreifen. Mich macht das immer ruhiger, lässt die Gedanken freier schweifen und bringt gerade deshalb die dringend benötigte Ordnung für manche Projekte.

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    1. Danke für das Kompliment, liebe Winterkatze, du ermutigst mich!
      Du beschreibst den Effekt gut (könnte ich nur Socken stricken, eine unbekannte Wissenschaft für mich). Es hat sogar fast einen therapeutischen Effekt, weil es mich herrlich vom täglichen Mediengedöns runterkommen lässt. Einfach mal an "Nichts" denken und dabei noch etwas Schönes erschaffen ...

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  2. Das klingt nach einem großen, geduldigen Lernprozess, Petra. Finde mich da auch durchaus wieder, schon das Stricken von Bügelüberzügen in der Schule hat mich wahnsinnig gemacht. Und es sind sehr schöne Stücke, die da so geduldig entstehen ...:-)

    Herzlichst
    Christa

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    1. So geduldig ist der Lernprozess gar nicht, liebe Christa!
      Ich habe mir zwei Tage lang intensiv jedes nur erreichbare Tutorial bei youtube reingezogen und dabei gleich losgelegt. Mutig für den Mülleimer geschafft, denn nur durch die rasanten Fehler lernt man viel. Was ich hier zeige, hat den Mülleimer überlebt ;-)
      Ich würde allerdings nie etwas gestalten, das mir keinen Spaß macht oder nicht aus meinem Innersten kommt. Deshalb habe ich Handarbeiten in der Schule inständig gehasst.
      Bei meinem Schmuck habe ich Ideen im Kopf und überlege von dort aus, mit welchen Materialien ich die verwirklichen könnte oder wie man das und das Steinzeitstück auf "modern" adaptieren könnte.
      Herzlichst,
      Petra

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