Mut kann man nicht kaufen

Strenger Frost im Elsass, aber auch strahlende Sonne über dem Schnee - das Leben ist schön und Blumenfotos können nicht nur Laune machen. Sie erinnern daran, dass schon in 15 Tagen Lichtmess ist und in zwei Monaten Frühlingsanfang! Lichtmess am 2. Februar ist übrigens ein Tag, an dem die Menschen früher die Stabilität des Sonnenlichts feierten, das nach der Wintersonnenwende endlich richtig spürbar geworden ist. Bevor katholische Riten endgültig diese Ursprünge verdeckten, versuchte man in Prozessionen und Riten die Sonne zum Bleiben und Erstarken zu bewegen.

Für meine treuen Leserinnen und Leser!

In diesem Sinne möchte ich das Jahr beginnen, wie es sich für mich anfühlte: Da ist in jedem Dunkel Licht. So habe ich heute den "Geschenktopf" in diesem Blog auflösen können, der mich in vielfacher Hinsicht überwältigt hat. Es war nicht nur die spontane Hilfsbereitschaft der SpenderInnen, die es mir ermöglichten, die neue Hardware zu besorgen, die es heutzutage so nötig braucht. Es war auch Ihr / Euer Feedback, das mich auf lange Monate motivieren wird. Betriebsblind, wie ich oft bin, habe ich nämlich gar nicht geahnt, welch wichtigen Platz mein Blog inzwischen für viele Leserinnen einnimmt - und was ich selbst mit Worten schenken kann. Klar, dass ich mich nun noch mehr anstrenge! Und ein warmes Danke allen, die sich beteiligt haben und mit ihrem Geschenk noch andere Folgen auslösten: Mein Hund Bilbo knabbert sich durch Ziegenohren und Ochsenschwänze ... und ich habe ein wenig übrig für einen Traum, der gleichzeitig ein Experiment sein wird.

Freunden, Bekannten und mir geht es wahrscheinlich ähnlich wie vielen derzeit: Das Jahr 2015 hat sich so richtig eklig und düster angefühlt, wenn man auf die Weltlage schaute und den Irrsinn, der überall, leider auch in manchem Politikerhirn, hochkochte. Zwar war die Welt schon immer so, wie sie ist; zwar war das alles viele Jahre vorher schon abzusehen, aber wenn es so geballt an die Oberfläche kommt, dann stinkt das leider auch wie eine Jauchegrube, die überläuft. Jammern hilft nichts, die unbelehrbaren Betonköpfe werden immer mehr und man reibt sich auf, wenn man ständig nur gegen Hasser, Neider und Menschenverachter anbrüllt. Nicht dass es nicht nötig wäre, genau hinzuschauen und Stellung zu beziehen. Aber mit einem anderen "Energie-Management"!

So ist in meinem Umkreis die Idee entstanden, dass wir unsere Energie lieber in das geben, was das Licht verstärkt. Die schlimmste Waffe gegen den Hass ist Liebe. Gigantisch großes Wort. Geht aber auch ein bißchen kleiner. Die schlimmste Waffe gegen eine lebensfeindliche und menschenverachtende Ideologie, die sich als Pseudoreligion oder Bürgerbesorgnis verkleidet, ist das sprühende Leben selbst, sind Kunst und Kultur, gemeinsames Lachen, Essen und Trinken, Witzeln und Spotten, Feiern und Pfeifen, sind Solidarität, Freiheit und starke Frauen, aber auch Männer, die ihre Stärke nicht in der Verachtung sehen, sondern der Wertschätzung. Es entstehen kleine Keimzellen hier in Frankreich, die trotzig sind wie Asterix und Obelix: Wenn die Hirnverbrannten des Terrors Kunst zerstören, machen wir noch mehr Kunst, halten Kunst in Erinnerung und erzählen uns die Geschichten. Wenn die Hirnverbrannten aller extremistischen Strömungen durch Angst teilen und damit leichter herrschen wollen, trotzen wir mit Solidarität und kümmern uns um andere. Angst hält man nämlich gemeinsam viel besser aus. Wir brauchen Licht, Schönheit, MutmacherInnen.

Hach klingt das alles hehr und rhetorisch! Natürlich wächst so etwas nur aus sehr winzigen und zerbrechlichen Keimchen. Aber je mehr man aussät und je liebevoller man die jungen Pflänzchen pflegt, desto eher blüht es im Frühling. Das geht gemeinsam leichter als allein. Bald wird wieder der Winter in Fasnachtsriten umgebracht. Die Welt bleibt nicht dunkel - wir hören nur viel zu selten und zu kurz von den Fortschritten. Erinnert sich noch jemand an den wirklich historischen Vertrag beim Klimagipfel in Paris? Seine Dimension, die diskutierten Ideen, die tatsächlich schon vorhandenen Innovationen sind schier untergegangen in den ewig gleichen düsteren Nachrichten. Weil es mehr einbringt, Probleme aufzuschaukeln. Die neuen Verträge mit dem Iran sind - natürlich auch mit Problemen verbunden - ein Meilenstein in der Weltpolitik der letzten Jahre, eine Chance, die alle Beteiligten lange nicht gehabt haben. Hoffentlich reden wir das nicht auch gleich wieder pro forma schlecht, sondern besinnen uns auf die Möglichkeiten.

Solchen Lichtblicken ähnlich gibt es weltweit klitzekleine Lichtblicke. Und weil ich es eher mit den kleinen, ganz praktischen Keimen zu tun habe, mache ich mich seit Beginn des Jahres auf die Spuren von solchen Mutmacherinnen und Mutmachern. Man kann das manchmal bei Instagram sehen, wo Menschen ihre Fotos teilen: Es mag große nationale Unterschiede in der Politik geben, aber Menschen überall auf dieser Erde wollen eigentlich nur eins - leben und lieben. Und wenn ich genauer hinschaue, sehe ich starke Verbindungen. Da lebt eine Frau in den amerikanischen Apalachen im Einklang mit der Natur und den Jahreszeiten und fragt sich, wie sie das anderen vermitteln kann, wie sie sich einen Beruf schafft, der das respektiert. Irgendwo im ärmsten Süden Italiens ist ein junges Paar in seine Heimat zurückgekehrt und sagt sich: Es muss doch irgendwie möglich sein, die Armutsemigration zu stoppen und neue Infrastrukturen zu schaffen. Sie haben eine uralte Handwerkstradition wiederbelebt und Arbeitsplätze geschaffen. Die verlorene Region liefert heute nach New York ebenso selbstverständlich wie nach Paris. Oder die Polin, die sie schließlich durch alle Online-Zeitschriften gezeigt haben: Verzweifelt, jung, arbeitslos. Backt gern, bastelt herum, probiert mit Freunden eine Idee und verkauft das Zeug im Internet. Heute ist sie die Chefin einer kleinen Manufaktur und es gibt wieder Arbeitsplätze in ihrem Dorf.

Gemeinsam ist diesen Menschen, dass sie Kleinststrukturen zwar regional erschaffen, aber global denken und vernetzen. Dass sie als ArbeitgeberInnen neue Formen, nachhaltiges Wirtschaften und Mitmenschlichkeit ausprobieren. Sie stecken andere an. Und dieser Virus verbreitet sich global und schert sich nicht um Nationen oder Kulturen. Diese kleinen solidarischen "Zellen" agieren höchst kreativ, mit Sachverstand, wild und vernetzt und sehr sehr mutig. Diesen Mut kann man nicht kaufen, aber ihr mutiges Handeln steckt an. Leute wie diese ermuntern sicher nicht nur mich - sie faszinieren. In lockerer Reihenfolge und ganz spontan möchte ich solche Menschen im Blog präsentieren, wie immer in ganz subjektiver Auswahl.

Da war noch mein Traum, das Experiment. Ich bin nämlich auch eine Infizierte. Ich habe mich die ganzen Jahre nicht getraut oder mich selbst platt gequatscht nach dem Motto: Das ist doch nicht "sinnvoll", das bringt nichts ein, arbeite was "Ordentliches". Zum Glück haben mich nun genügend Menschen aufgehetzt, dass ich in meinem Alter lustig unordentlich sein sollte. Vor vielen Jahren habe ich für mich selbst Schmuck entworfen, weil mir der im Laden nicht gefiel. Ich begann mit Repliken alter Museumsstücke in Fimo und fädelte später Perlen. Ich bin fasziniert von prähistorischem, keltischem und anderem uralten Schmuck und finde es schade, dass solche Schönheiten nur im Museum liegen. Ließe sich dieser Flair nicht mit neuen Materialien verbinden? Und dann ist da dieses Laster: Ich bin verrückt nach böhmischer Glaskunst und insbesondere den Perlen, die da geschaffen werden - ungeachtet dessen, dass wir doch im Zeitalter des billigen Plastiks leben. Ich könnte mich dumm sammeln an solchen Perlen.

Probegefädelt: Bernstein aus Russland, Sonnenstein und Kristallglas aus Tschechien, Metall aus Frankreich, Ton aus Indien - ob man daraus etwas Tragbares schaffen kann? Wäre ich jetzt in der Steinzeit ...
So wurde die Idee geboren, gemeinsam mit einer befreundeten französischen Künstlerin. "Warum verkaufst du deine Werke nicht im Internet?", fragte ich sie und sie fragte zurück: "Warum verkaufst du nicht deinen Schmuck im Internet?" Viele Abende haben wir die Köpfe zusammengesteckt und beschlossen, gemeinsam an der Idee zu arbeiten, zu planen, uns zu vernetzen. Wir arbeiten an einem Shop bei Dawanda, zwar einzeln betrieben, aber gemeinsam beworben. Und man kann so viel vom anderen lernen, sich gegenseitig helfen - schon sprachlich. Ein wenig Geld vom "Geschenktopf" will ich investieren in das verrückte Experiment. Dieser Tage bestelle ich Zubehör wie Kettenschließen, Zwischenringe oder Spezialfäden in Frankreich und Perlen in Prag. Meine Freundin grinste breit und meinte, mit meiner Kristallglasliebe sei ich ganz schön "einheimisch" und regional. Stimmt, wenn ich an Meisenthal und Lalique denke. Und dann fällt mir die Geschichte von dieser Vorfahrin ein, die mich als Kind so faszinierte ...

Als ich meine Uroma zu ihrem 100sten Geburtstag besuchte, hat sie mich mit jemandem verwechselt. Sie erzählte mir von "unseren" gemeinsamen Erlebnissen um 1900. Erlebnissen mit der Frau, die sie als Kind bei sich aufgenommen hatte, weil die eigene Familie zu arm war, alle Münder zu stopfen. Es war die Großmutter meiner Uroma - ich bewege mich also weit ins 19. Jahrhundert hinein, denn meine Uroma war gegen Ende jenes Jahrhunderts geboren. Später habe ich nachgeforscht und herausgefunden, dass jene Vorfahrin ihr Geld mit Glas gemacht hatte. Das Ehepaar hatte eine Glasfabrik in Böhmen und ist später nach Lothringen emigriert. Seltsam, wie sich die Kreise in Emigrantenfamilien manchmal schließen. Da sitze ich nun ganz in der Nähe von Lothringen, als Departement sogar vereint, und bestelle böhmische Glasperlen in Prag - wo ein Teil meiner Familie herkommt. Hätte ich ein Bild von der Oma meiner Uroma, würde sie jetzt vielleicht zwinkern?

Natürlich werde ich weiter Bücher schreiben, keine Frage! Aber es tut mir gut, neben all der Düsternis, die ich als Autorin mir anlesen muss, mit Schönheit zu arbeiten - und mir vielleicht ein zweites Standbein damit zu schaffen. Die Arbeitslosigkeit im Elsass steigt rapide, ist auf einem Höchststand angelangt mit etwa 150.000 Arbeitssuchenden Ende November, also einer Quote von 9,5% (Vergleich: Im benachbarten Baden-Württemberg waren es 3,6%). Wir arbeiten erst einmal daran, dass die Sache überhaupt läuft und uns selbst ein wenig mehr absichert. Wir wollen aber auch in einer Zukunft, in der sich die Idee vielleicht bewährt, zu Mutmacherinnen werden. Mit Menschen über die Lage sprechen und überlegen, was man in einem Land anstellen kann, das kurz vor den Abgrund gewirtschaftet wurde und in dem es immer weniger Arbeit und immer mehr Versprechungen gibt.

Vielleicht wird 2016 ein virales Jahr der mutigen, wilden, erfinderischen Kleinststrukturen. Der Veränderung von ganz unten. Vielleicht wächst langsam ein kleiner Keim zum solidarischen Handeln?

4 Kommentare:

  1. Liebe Petra,
    ich wünsche Dir und Deiner Freundin viel Glück und Erfolg.
    Viele kleine Inseln können sich zu einem Kontinent verbinden. Das stelle ich mir immer vor. :-)

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    1. Das ist ein schönes Bild, liebe Claudia!

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  2. Liebe Petra positiv, ustig unordentlich, mutigen, wild, lieb und gemeinschaftlich oh ja das klingt so so gut und es steckt wirklich an. Es ist es einfach wert es so zu tun.
    1: Lächeln
    2: Umgib Dich mit Menschen, die Dir ein positives Gefühl geben
    3: Übernimm Verantwortung ob für Dich oder gemeinschaftlich
    4: Mach Dir bewusst, was an Deinem Leben gut ist
    5: Du musst nicht perfekt sein – aber lerne aus Deinen Fehlern
    6: Vergleiche dich nicht mit anderen, sondern lebe Dein Leben
    7: Liebe Dich als einzelner Mensch
    8: Sage öfter anderen Menschen Danke … auch was sie beruflich gut tun

    Genau diese Punkte sind so einfach und passen wunderbar zu Deinen Gedanken, Ideen und Ansätzen die ich in meinem Leben wieder mehr tue. Ja, und man kann andere Menschen positiv begeistern, sie mitnehmen und vor allen als Gemeinschaft die Welt wieder ein klein bisschen freundlicher, liebevoller und offenen machen. Auch wenn wir nicht alles ändern können, aber manchmal sind es nur die kleinen Dinge die uns schon glücklicher machen.
    Liebe Grüsse sendet Dir Daniela

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    1. Liebe Daniela,
      deine Punkteliste wäre fast ein eigenes Posting wert, so wunderbar ist sie. Hab ganz herzlichen Dank, dass du sie mit uns geteilt hast. Gerade den letzten Punkt vergessen wir in unseren Breiten oft, dabei macht er nicht nur den Gelobten Freude.
      Dir auch liebe Grüße und viele lächelnde Menschen,
      Petra

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