Vom Überangebot und vom Begehren

Wer kennt dieses Gefühl nicht: Die Haare sind fettig, die Shampooflasche leer, schnell hechtet man in den nächsten Supermarkt. Und da ist zwar das Lieblingsshampoo gerade ausverkauft, aber dafür schreien einem gefühlt 1001 andere Sorten ihre Werbebotschaften entgegen. Es gibt Shampoo für fettiges Langhaar mit Fruchtgeschmack oder Shampoo für fettiges Kurzhaar mit Rottönung ohne Schuppen. Andere Flaschen versprechen gar ein Ende mit Fett; biologisch abbaubaren, garantiert veganen Fruchtgeschmack und Seidenpartikel für die Halbglatze. Welches nehmen? Die Mittagspause ist gleich zu Ende. Das Überangebot macht blind, macht müde und frustriert. Wie einfach wäre der Einkauf, hätte der Laden nur drei Sorten auf Lager!

Was aussieht wie eine Collage von Alexandra Exter, ist der Liegeplatz eines verwöhnten Welpen

Inzwischen haben sich Forscher ernsthaft mit den Qualen aufgrund eines Überangebots beschäftigt. In einer Welt, in der fast alles käuflich zu erwerben ist, in der sogar ständig neue Produkte auf den Markt kommen für Bedürfnisse, die ich im Alptraum nicht ahnte ... da frohlockt der Konsument nicht nur. Er fühlt sich frustriert. Deprimiert. Es wird ihm einfach alles zu viel. Manchmal so zu viel, dass er sich dem Konsum sogar verweigert.

Vor Jahren hat der Focus dazu eine Titelstory geschrieben und u.a. mich dafür interviewt - als Beispiel für eine, die "reduziert" hatte. Ich war ziemlich frisch aus der Millionenstadt Warschau, diesem hypermodernen wimmelnden Zentrum des Neokonsums, zurückgegekehrt ins Landleben Frankreichs. Für den Redakteur war es damals schon eine Sensation, dass jemand nicht täglich in einer Stadt war und erst vorsätzlich mit dem Auto hinfahren musste. Dass jemand kein Interesse an 1001 Shampoosorten hatte, dafür aber noch Zeit fand, Marmelade einzukochen und Küchenkräuter zu ziehen. Der Fotograf kam mit einer alten Klapperschreibmaschine, um mich am Tisch mit Naturkulisse hinterm offenen Fenster abzulichten. Mit Espressotasse und Blumenvase, das machte sich passender als das neueste Modell des Computers, an dem ich tatsächlich arbeitete - in einem sehr schattigen Büro übrigens. "Die Leser sehnen sich nach dieser Einfachheit", meinte der Redakteur. Damals jubelte man noch einem Guru zu, wenn er "simplify your life" rief ...

Kürzlich machte ich eine Beobachtung in Sachen Überangebot: Welpe Bilbo hat in wenigen Wochen einen wahren Reichtum an Spielzeug angesammelt. Das wird gern an die unterschiedlichen Liegeplätze in der Wohnung geschleppt. Mal ist der gefundene Apfel dran, dann der Markknochen, den der Vorgänger in meiner Bibliothek versteckt hatte; da gibt es ein Knautscheschwein und einen toten Volleyball und ein Geschirrtuch zum Tauziehen. Die Menschin dachte, sie sollte mal aufräumen und platzierte das alles an einem einzigen Liegeplatz. Prompt stellte der Hund jegliches Spielen ein! Gelangweilt schaute er sich die Sachen an, fand seinen Liegeplatz nun gar nicht mehr reizvoll und schlappte missgelaunt in den Garten. Dort grub er einen älteren Wirbelknochen aus und platzierte ihn fast trotzig in der Mitte. Das ist Spielzeug, das will ich, nicht deinen ganzen wohlfeilen Krempel, schien mir sein Blick zu sagen.

Menschen sind lernfähig. Deshalb gibt es seinen Lieblingsknochen, ein eklig knatschiges Ding, an dem noch die Fetzen hängen, nur auf Zuteilung. Menschin verbuddelt das Ding bildhaft in der Küche und rückt es nur manchmal heraus. Wenn der Hund sich etwas ganz Besonderes verdient hat. Und siehe da, es passiert Interessantes: Alles Spielzeug dieser Welt verliert sofort jeglichen Reiz. Da kann das Quietscheschwein noch so teuer gewesen sein, das Wurfding noch so ergonomisch wertvoll, Welpe Bilbo vergnügt sich Stunden an seinem wertvollen Aasknochen, den Zweibeiner am liebsten im Müll sähen. Und dann fängt er an, sein Spielzeug wieder auf die Wohnung zu verteilen, nach einem geheimen Muster, das nur er kennt. So viel steht fest: Er hat nie mehr als drei Teile gleichzeitig im Blick. Fängt an zu wandern. Sucht aus. Und apportiert, was er haben möchte. Trotzdem kommt nichts, aber auch gar nichts an den Status seines ekligen alten Knochens heran.

Ich habe viel nachgedacht über die Langeweile eines Hundes angesichts der Überfülle - und sein Begehren nach dem Einfachsten aller Dinge. Das doch so authentisch ist, so klar dieses Ding selbst. Das man nicht mal so gleich und überall hundertfach und austauschbar kaufen kann. Das in seinem Geruch unverwechselbar geworden ist.

Verhält es sich nicht genauso mit dem Buchmarkt?!

Wenn plötzlich immer mehr Cover sich derart ähneln, dass sie austauschbar werden, wenn plötzlich 1001 Vampirromane zu haben sind - entwertet das nicht das Produkt? Könnte mir dann als Leserin im Laden nicht plötzlich genauso übel werden wie im Supermarkt? Weil meine Mittagspause bald vorbei ist, ich auf die Schnelle nicht mehr finde, was mich wirklich befriedigen würde? Empfinde ich noch Leselust oder schon Lesefrust? Zu viel Kram und zu wenig das, was ich wirklich liebe?

Mein Hund hat mich etwas gelehrt und ich denke darüber nach: Was, wenn ich statt der ständigen Verfügbarkeit von all diesen genormten Selbstverständlichkeiten genau das bieten könnte, was jenes Begehren weckt? Es muss manchmal nur ein einfacher Knochen sein. Aber auch Leser haben ihre Lieblingsknochen, auch sie kauen manchmal jahrelang immer wieder auf dem gleichen Buch herum. Was aber macht dieses Buch für sie so einzigartig?

Mein Hund wählt nicht nach Verfügbarkeit. Er wählt nicht nach dem Preis. Die Stapelware von der Kasse, der absolute Hundebeststeller, das Quietscheschwein liegt seit Tagen unbeachtet in der Ecke. Er begehrt diesen einen Knochen, den er nur manchmal haben kann. Er hat Lust auf diesen Knochen. Und ganz gewiss ist da auch ein Bedürfnis (das Zahnen), das ihn wertvoller macht als den toten Volleyball.
Bilbo, erzähl mir mehr über das Vermarkten von Büchern!

5 Kommentare:

  1. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  2. Hundertprozentige Zustimmung! Der Hundewelpe scheint ein weiser Guru zu sein. Mein 9 Jahre alter Hund schnarcht gerade so süß, hinter mir köchelt das Pflaumenmus leise vor sich hin, und ich korrigiere ein Manuskript. Idylle ... Doch Moment mal, ich glaub', mein Shampoo ist leer!

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  3. Meine Katzen zeigen mir dafür eher die andere Variante des Konsumverhaltens. Wenn ich Spielzeug einkassiere und für ein paar Wochen außer Reichweite halte, wird es später ganz neu entdeckt und wertgeschätzt - eine Methode, die nicht nur von einem bestimmten Schokoladenhersteller praktiziert wird. Künstliche Verknappung sorgt schon dafür, dass die Leute sich blind auf etwas stürzen, wenn es denn endlich mal wieder verfügbar ist. ;)

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  4. Mit dem Überangebot an Büchern ist es glaube ich ein wenig schwieriger, denn ich denke, daß jeder schreiben und lesen soll was und wie er will und nehme mir auch für mich das Recht heraus das zu tun, dann gibt es aber wirklich Bücherberge, die zum Beispiel bald in Frankfurt präsentiert werden und mehr als zweihundert im Jahr kann man beim besten Willen nicht lesen und das ist schon sehr viel. In Wien gibt es beispielsweise eine große Buchhandlung und davor einen offenen Bücherschrank, in dem sie die Leseexemplare und das was offenbar für unverkäuflich hält hineinlegt, ich war gestern dort und habe Bücher gefunden die 2013 erschienen sind und nicht vor dem 28. august besprochen werden sollten, sie waren ungelesen, wahrscheinlich mit Herzblut geschrieben, meine Leseliste ist aber auch schon sehr voll, es ist also ein Dilemma für das es nicht so schnell eine Lösung gibt, trotzdem denke ich man soll schreiben und veröffentlichen wenn man das will und wenn man sich für die Bücher der anderen interessiert ist das sehr schön und hilft einem vielleicht auch ein bißchen weiter

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  5. Eva Jancak, ich fürchte leider auch, dass es nicht so einfach ist wie bei Bilbo oder Winterkatzes Katzen, aber so ein wenig lässt sich am Bonbonglas der Bücher auch tricksen. ;-)
    Indem man z.B. mit schwierig verkäuflichen Themen nicht gerade dann herauskommt, wenn alle ihre Neuerscheinungen auf den Markt werfen (Buchmesse). Indem man irgendwas anders macht. Oder auch die Gewohnheiten bedient: Du willst nur Knochen? Ich schreibe dir Knochen, dass es kracht! ;-)

    Das mit der Verknappung wird schwer, Winterkatze ... ich habe gerade gelesen, dass es 2 Millionen Autoren allein in China gibt.

    Trotzdem denke ich darüber nach, was es ist, das Begehren bei Buchliebhabern schafft. Was es ausmacht, dass ich mich über ein neues Buch freue wie auf Weihnachten?

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