Crowdfunding Premiere für Buch

Crowdfunding ist das, was Musiker auf der ganzen Welt schon lange mit Erfolg durchziehen, nachdem die großen Label sie mehr und mehr im Regen haben stehen lassen. Das Prinzip ist sehr einfach: Ein Künstler (natürlich auch eine Künstlerin) arbeitet einen Projektplan aus und wendet sich über eine Crowdfunding-Plattform für die Finanzierung an bereits vorhandene und potentielle Fans. Den Spendern bietet man je nach Größe der Summe irgendeine - oft ideelle - Belohnung. Das kann von der Namensnennung in der Danksagung über Freiexemplare bis zur Premierenparty reichen.

Für die Einzahlungen gibt es eine Frist. Bis zu einem bestimmten Datum muss die anvisierte Summe eingegangen sein. Nur dann erhält der Künstler sein Geld. Kommt die Summe nicht zustande, erhalten alle Spender ihr Geld zurück und der Künstler geht ganz leer aus. Schon hier wird klar: Crowdfunding eignet sich nur für Künstler, die ein Händchen dafür haben, Fans zu aktivieren. Und natürlich reicht es nicht, ein Projekt auf einer Plattform einzustellen - man muss schon gehörig Menschen aktivieren. Der Vorteil von Crowdfunding: Künstler können direkt im Kontakt mit dem Publikum Projekte verwirklichen, ohne sich bei den üblichen Stellen bewerben zu müssen.

Das funktioniert wunderbar in der Musik und beim Film. Aber kann man auch Bücher per Crowdfunding und damit ohne Verlag herausgeben? Wenn man sich auf den Plattformen umschaut, tun sich Autoren besonders schwer. Fangruppen um Buchprojekte zu versammeln, ist in Deutschland noch nicht besonders etabliert. Das läuft etwa in Frankreich viel leichter, weil man dort schon immer Bücher frei und mit Sponsoring herausgegeben hat. Außerdem eignen sich manche Bücher besser als andere - und sind manche Autoren in ihren Angeboten geschickter als andere. Bekäme eine Autorin genügend Gelder zusammen, um einen historischen Roman herauszugeben? Wäre der Vampirroman gängiger? Oder spenden Leute lieber für Kunstbände?

Die studierte Biologin Andrea Kamphuis, die als Übersetzerin, Lektorin und Autorin im naturwissenschaftlichen Bereich arbeitet, ist einigen Bloglesern hier vielleicht von Kommentaren her bekannt. Sie hat das unmöglich Scheinende gewagt: Crowdfunding für ein naturwissenschaftliches Sachbuch - und zwar für eine Summe von 6000 Euro! Am 16. Juni ist die Kampagne bei My Sherpas zu Ende. Würde das Geld für "Friendly Fire", ein Sachbuch über die Evolutionsbiologie von Autoimmunkrankheiten, zusammenkommen? Würde die Autorin genügend Menschen für ein derartiges Fachthema aktivieren können? Seit ihrer Nominierung beim Virenschleuderpreis verfolge ich das Projekt mit Spannung. Ganz ehrlich - zwischenzeitlich sah es aus, als müsse es wie so viele andere an der engen Zeitgrenze scheitern.

Heute konnte Andrea Kamphuis stolz bei Facebook verkünden:
"Der 'proof of concept' ist erbracht. Vor wenigen Minuten hat meine Crowdfunding-Kampagne zur Teilfinanzierung eines anspruchvollen Sachbuchs ("Friendly Fire - das Autoimmunbuch") ihre Zielmarke von 6.000 Euro erreicht. Das ist m. W. die erste erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne für ein naturwissenschaftliches Sachbuch in Deutschland, vielleicht sogar in Europa."
Die Kampagne läuft natürlich noch bis zum Stichtag, jetzt dürfen die 6000 Euro "überzahlt" werden. Wer sich wundert, warum das so viel ist - die Projektbeschreibung und Website zeigen, wohin das Geld fließt und wie teuer ein derartiges Sachbuch ist. Zum Vergleich - ich hatte am Sonntag ein sehr schönes Kunstbuch in der Hand, das trotz der Mitarbeit der Künstler 30.000 Euro verschlungen hat.

Abgesehen davon, dass ich Andrea Kamphuis herzlich zu diesem Erfolg und dieser Premiere fürs naturwissenschaftliche Sachbuch gratuliere - ich finde, sie hat den Beweis erbracht, dass Büchermachen auch anders geht. Wie bei den Musikern brechen auch für rührige AutorInnen Zeiten an, in denen sich Bücher risikolos, weil durchfinanziert, verlegen lassen.

Noch hapert das System an Kinderkrankheiten. Die Crowdfunding Plattformen sind bei vielen Deutschen noch nicht bekannt genug. Zu viele Berührungsängste gibt es gegenüber dem System, das sich im angloamerikanischen Raum (mal wieder) längst etabliert hat. Ganz großes Manko sind bei einigen Plattformen die Bezahlsysteme, viel zu monopolistisch setzt man auf Paypal. Auch ich würde nicht jeder Bezahlfirma mein Geld anvertrauen - nach einigen üblen Erfahrungen. Hier müssen sich die Crowdfunding-Plattformen dringend an europäische Bezahlgewohnheiten der jeweiligen Länder anpassen. Crowdfunding funktioniert nur, wenn genügend Menschen sich überhaupt dafür interessieren. Deshalb erreichen viele gute Projekte ihre Summe in der vorgeschriebenen Zeitspanne nicht. Hier gilt es, gerade in Zeiten der Budgetkürzungen für Kunst und Kultur, eine völlig neue Konsumentenkultur zu schaffen.

Es ist nicht einfach, in unseren Breiten Leserinnen und Lesern ein Gefühl für den Wert von Texten, für die Arbeit am Buch und die Kosten zu vermitteln. Ich sehe das im Kleinen mit meiner Danketaste zum Blog. Sie wird immer nur dann gedrückt, wenn ich meinen Leserinnen und Lesern ein schlechtes Gewissen mache***, indem ich auf sie hinweise - obwohl der Dank schon für 5 Euro zu haben ist. Was wir in Zukunft brauchen, ist eine "Kultur der kleinen Mäzene" - wo es Spaß macht, Künstler der eigenen Wahl zu unterstützen oder zu fördern, wo man aus Überzeugung und Lust für ein Projekt eintritt - wie das gerade bei "Friendly Fire" geschehen ist. Mit zehn Euro waren die Fans dabei, manche spendeten sogar bis zu 1000 Euro. Sie alle dürfen heute stolz darauf sein, dass sie ein Projekt jenseits des Mainstreams ermöglicht haben, ein sehr spezielles naturwissenschaftliches Sachbuch. Unsere Kultur braucht die Vielfalt solcher Nischenthemen, für die Verlage immer seltener Verantwortung übernehmen wollen.

Ich würde mich freuen, wenn Andrea Kamphuis hier "hereinliest" und vielleicht über ihre Erfahrungen mit dem Crowdfunding noch etwas erzählt. Dann würde mich vor allem interessieren, warum so viele Fans nicht direkt auf die Plattform spenden wollten, sondern den Umweg über einen Spender nahmen. Angst vor der Plattform oder vor deren Bezahlsystem?

PS: Bei 6685 Euro steht der Zähler, als ich diesen Artikel beende.

*** Bei der Gelegenheit möchte ich meine Lust und Freude an den bisher eingegangenen Büchergutscheinen an die Spender weitergeben - es ist mir jedes Mal eine höllisches Vergnügen, wenn ich mir wieder "außer der Reihe" ein Buch schenken kann - danke dafür!

3 Kommentare:

  1. Ich entschuldige mich für die technischen Probleme - Blogger schreddert ständig die Artikel oder ist nicht erreichbar. Im Moment versuche ich, den Anfang des Artikels wieder einzuflicken...

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  2. Ein toller Beitrag - herzlichen Dank! Ich melde mich gerne noch ausführlicher zu Wort; es ist unbedingt sinnvoll, die Kampagne zu analysieren und darüber nachzudenken, was davon projekt- oder personenspezifisch war und was sich auf andere Buchprojekte übertragen lässt. Ich bitte noch um etwas Geduld; die Kampagne läuft ja noch gut eine Woche, und ich rotiere gerade ziemlich.

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  3. Dann schlage ich ganz frech ein Interview vor, wenn wieder Zeit zum Schnaufen ist! (Einfach bei mir melden).
    Und bis dahin wünsche ich erfolgreiches Rotieren - das geht ja jetzt echt ab...

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