Sag niemals nie

Ich lebe in einer Zeit, die ich als Teenager für Science Fiction hielt. Und ich nähere mich mit Riesenschritten einem Klops, den ich als Kind für schier unverdaulich erachtete: einem halben Jahrhundert Lebenszeit. Da wird es einem eilig zumute. Warum mit guten Vorsätzen warten, bis der Körper daran arbeitet, sich dem vollen Jahrhundert zu nähern?

Mein Motto habe ich von Goethe geklaut:

Was immer du tun kannst
oder erträumst tun zu können,
beginne es.
Kühnheit besitzt Genie,
Macht und magische Kraft.
Beginne es jetzt.

Warum eigentlich nicht Dinge tun, die man sich vielleicht als Kind gewünscht hätte und dann aus "Vernunft" abgewöhnte? Warum nicht ach so hehre Grundsätze überprüfen und entsorgen? Warum immer funktionieren und genau das tun, was man von sich selbst erwartet?
Gestern jedenfalls habe ich zwei meiner Grundsätze über den Haufen geworfen und es fühlt sich herrlich an.

1. Trete nie einem Verein bei.

Als ich mit Studienende aus einem sehr großen Verein ausgetreten bin, hatte ich es mir geschworen: Ich bleibe Freidenker, Freihandler. Ich trete nie wieder in einen Verein ein. Mich kann man nicht in Vereinsstatuten einbügeln. Gestern bin ich spontan in einen ungebügelten Verein eingetreten: Sur les Sentiers du Théatre. Kennengelernt habe ich die rührige Gruppe durch meine Arbeit - ich übersetzte im Herbst einen Theaterabend vom Französischen ins Deutsche. Ich war bei den Proben dabei und gestern im Theater in Strasbourg.

Als "Passeur de culture" bezeichnet sich der Verein und das ist doppeldeutig. Ein Passeur ist ein Lotse, aber auch einer, der heimlich Menschen über Grenzen bringt. Genau mein Programm. Endlich in meinem ländlichen, rückständigen Kanton kulturell nicht mehr verhungern - und die Landeier mit Kultur infizieren. Herrliches Programm, super sympathische Leute.

2. Wage nie Dinge, für die du dich zu klein oder zu unfähig fühlst.

Ich gebe zu, ich habe intensiv gezögert und erst zwei Leute fragen müssen, ob sie glauben, dass es einen Sinn hätte. Als die eine grinsend, aber lautstark extreme Bedenken äußerte, war natürlich mein innerer Schweinehund geweckt. Also habe ich ganz schnell Fortbildung der etwas anderen Art gebucht: Unterricht in Improvisationstheater bei Étienne Bayart.

Meine Bedenken kamen nicht von ungefähr. Französisch ist Fremdsprache für mich. Ich mache immer noch jede Menge Fehler, habe auch schlechte Tage. Vor allem aber werde ich unter Druck und bei Nervosität sehr unsicher. Fremdsprachler kennen das vielleicht: Im Ernstfall schreit man beim Zahnarzt doch lieber in der Muttersprache los. Vor allem aber habe ich das, was ich als deutschsprachige Autorin täglich aus dem Ärmel schüttle, noch nie auf Französisch gemacht, geschweige denn empfunden.

Wie soll ich in einer Fremdsprache Geschichten entwickeln? Wie würde ich unter Lampenfieber Französisch stammeln, wenn ich mich schon bei deutschen Auftritten extrem konzentrieren muss? Wie improvisiert man spontan außerhalb der Muttersprache?

Warum hatte ich eigentlich gezögert? Wenn ich es nicht ausprobiere, werde ich diese Fragen nie beantworten können. Ich kann von der Erfahrung nur profitieren. Und der Gina Grumbier wird es ebenfalls gut tun, wer weiß, vielleicht stammelt sie eines Tages sogar auf Französisch...

PS: Rocco lässt ausrichten, er breche ebenfalls einen Grundsatz. Die sonntägliche "roccultur" wird erst zum Wochenanfang erscheinen.

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