Quälerei am Schreibtisch

Ich quäle mich dieser Tage. Das Arbeiten fühlt sich an wie Waten in Grafschafter Goldsaft oder wie in diesen Träumen, wo man nicht von der Stelle kommt. Ständig platscht zur Unzeit etwas auf den Schreibtisch, das schnell erledigt werden muss und einen von der eigenen Arbeit abhält. Der steigende Dunkelanteil im Draußen spielt mit von der Evolution vergessenen Synapsen für Winterschlaf. Und dann könnte ich meinen Krimi gerade - mal wieder - in die Tonne treten.

Da ist diese Sehnsucht nach Idylle, nach einer Welt voll Schönheit und Überschaubarkeit. Aber dafür braucht es fleißige Gärtnerinnen!

Zum Glück kenne ich diesen Zustand, denn er meldet sich mit schöner Regelmäßigkeit bis kurz vor der Veröffentlichung. Meist stecken zwei Möglichkeiten dahinter: Ich habe einen grundlegenden Fehler gemacht und komme nicht darauf, warum der Text nicht funktioniert. Oder ich muss durch Szenen durch, wie ich sie hasse - und die lesen sich dann leider auch dementsprechend. Ich wusste, warum ich so lange nie wieder Romane schreiben wollte: Ich bin viel zu ungeduldig! Mein Gartenkrimi lehrt mich mit Faustschlägen, woran ich noch tüchtig üben und mich in den Griff bekommen muss. Im Sachbuch kann, nein muss ich die Essenz herauspulen, darf knackige Leadsätze im Nachhinein auflösen. Und jetzt das Gegenteil. Verzögerungstaktiken, Verschleierungen und immer wieder die Bremse. Zum Glück wehren sich meine Romanfiguren inzwischen ganz mutig, wenn ich sie mal wieder viel zu atemlos durch Situationen hetze oder mir einbilde, mit einem knackigen Dialog ließe sich alles erklären.

Eben habe ich das "Springerarbeiten" entdeckt. Es gibt Tage, da muss ich einfach draufhauen. Da ertrage ich es nicht, dass meine Amanda über einem Gartenplan brütet und sich mit Symbolpflanzen beschäftigt. Ich leide und möchte ihr zurufen: Krieg endlich den Hintern hoch, da draußen läuft ein Mörder herum! Dann streckt sie mir die Zunge heraus, knallt eine Rosenenzyklopädie auf den Tisch und sagt: "Du Dummerle, der soll ja noch eine Weile weiter herumlaufen. Wir sind erst ungefähr bei Seite 230. Du hast uns gerade den anstrengenden Kirchenbasar erleben lassen, jetzt ist mal Ruhe! Lass deine Leserinnen und mich verschnaufen."

Aber mich kribbelt es, ich weiß doch längst, wo die nächste Leiche entdeckt werden wird. Warum dauert das so lange, bis ich mich dorthin geschrieben habe? Ich springe. Anstatt im zähen Modder zu waten, ziehe ich eine Szene mit knalligerer Handlung vor. Endlich geht's mal wieder zur Sache. An Tagen, an denen ich innere Ruhe brauche, befülle ich die Fehlstelle aus meinen Notizen - sprich, ich plotte immer nur rückwärts. Vielleicht hole ich mich so aus dem schlimmsten Loch?

Da ist aber noch etwas anderes, was mir bis in meinen Roman hinein zu schaffen macht. Wie bereits erzählt, ist der Erstentwurf dieser Serie etliche Jahre alt. Es gibt in dem Roman einen schmierigen, zwielichtigen Dorfbewohner, der auf der anderen Seite auch wieder so richtig "nett" sein kann. Der ist also ein richtig netter schmieriger Rassist - und bekommt diesbezüglich herrlich sein Fett ab. Als ich die Szene vor Jahren schrieb, war sie ultralustig. Wenn ich sie heute lese, klingt sie skurril und macht mir Gänsehaut. Die Wirklichkeit ist in eine fiktive Spinnerei eingebrochen und die Wirklichkeit schreibt natürlich bei einem Roman immer mit. Als Schriftstellerin habe ich zwar die Macht, diesen Kerl in all seine Einzelheiten zu zerlegen - aber würde das der Geschichte gerecht? Ist die Welt denn so einfach? Ich könnte den Kerl mit dem Auto überfahren lassen oder ins Gefängnis stecken für irgend etwas. Zackbumm, Schwarz-Weiß-Gebäck. Nein, so einfach sind nicht einmal Häkelkrimis, auch da will auf besondere Muster geachtet werden.

Ich hadere bis an den Schreibtisch mit Wut, Ohnmachtsgefühlen, Grusel und Trotz. Irgendwie ist die Zeit der Unschuld vorbei. Leute, die eine Scheidung hinter sich haben, kennen das Gefühl vielleicht: Früher, als man die Welt noch rosenrot erlebte, hätte man sich nicht im Traum ausmalen können, wie es ist, wenn alles Verlässliche mit einem Schlag weg ist. Wenn das Bedrohliche in alle Ritzen des Lebens einzudringen droht. Ganz real erlebe ich das auf der politischen Ebene. Da ist der Bekannte von Freunden, der sich bei einem Abendessen plötzlich als echter Faschist geriert und tönt, wie er sich jetzt bewaffnen werde, hochoffiziell den Waffenschein beantragen. Ob er den FN wählt, wissen wir nicht, aber das Gedankengut ist eindeutig. Ich habe ihn nicht selbst erlebt, aber das Entsetzen der Freunde, und ich weiß, dass der Verteidiger von "Law & Order" Pfarrer ist. Ob er sonntags seine Schäfchen dummlügt? Ob er sie auch zu den Waffen ruft?

Und dann bricht es von einer anderen Seite ein. Wieder eine Kirche, obwohl ich gar kein Kirchenmitglied bin. Diesmal ganz anders. Diese Kirche ist eng mit meiner Kindheit verbunden. Sie ist ein Kunstwerk, war aufsehenerregend zur Zeit ihrer Fertigstellung 1978: gestaltet als Pyramide, Kunst von Emil Wachter im Innen und Außen, Skulpturen und Reliefs, die anmuten wie aus indianischen oder altorientalischen Kulturen. In meiner Schulzeit bin ich heimlich mit der Freundin zur Kräuterweih, weil ich als Nichtkatholikin katholische Rituale so spannend fand - und damals schon war man modern und ließ fast ausschließlich Frauen diese Messe gestalten, der ihre heidnischen Urgründe anzumerken waren. Die Autobahnkirche Baden-Baden ist auch für Nichtchristen ein ganz besonderer Ort, ein Kunstwerk in Beton und Glas. Für Christen sowieso.

Sie ist von Unbekannten mit rechtsradikalem Hintergrund geschändet worden. Nicht einfach nur mit Hakenkreuzen und anderen Symbolen beschmiert, sondern so, dass die Kunstwerke dahinter geätzt und geritzt wurden. Der Staatsschutz ermittelt.

In solch einer Landschaft, fiktionalisiert, in solch "gemütlichen" Grenzdörfchen spielt mein Krimi. Die Landschaft hat ihre Unschuld verloren. Der braune Mob agiert längst nicht mehr nur in Dresden oder im Flüchtlingsumfeld - er dringt in die ach so idyllische, ach so friedliche Welt eines jeden von uns ein. Der braune Mob kämpft gegen alle Werte, die uns vertraut und heilig sind und macht inzwischen auch vor Kirchen nicht mehr halt. Niemand kann das mehr verdrängen oder sich weglügen. Da ist der Pfarrer, der selbst Faschismus predigt. Da ist die Kirche, die von Rechtsextremen "beschädigt" wird. Wie lange wollen wir noch zuschauen?

Die Realität kämpft sich in meinen Krimi hinein und ich muss heiter und locker bleiben. Ich schreibe keinen gesellschaftspolitischen Roman. Aber ich ringe mit mir, wie man das Unsägliche auch im Gemütlichen behandeln kann - genau dort, wo es wie ein Geschwür allerorts aufbricht. Ich bin Schriftstellerin, ich darf alles, sogar solche Typen der Lächerlichkeit preisgeben. Aber es ist zäh und es gelingt mir in diesen Tagen nur schwer, am Ball zu bleiben. Zu groß wächst die Wut, weil ich nicht will, dass unsere Werte, unsere Demokratie und Freiheit von diesem Abschaum auch nur angeätzt werden kann. Und so gerät uns im Freundeskreis jedes Abendessen zur Diskussion, wie man handeln kann, was man tun muss. Ich stelle fest, dass ich mit diesen Romanen vielleicht Wichtiges leisten kann: Ruhepunkte. Eine Auszeit, um Kraft für die Wirklichkeit zu schöpfen. Vielleicht den ein oder anderen Aha-Effekt. Aber mehr können solche Romane doch eigentlich nicht?

In mir gärt das Gefühl, das wir diesen menschen- und lebensverachtenden Zerstörern unsere Werte und ein positives Schaffen entgegensetzen müssen. Wir dürfen nicht mehr schweigen. Aber auch nicht in den Wahn verfallen, jetzt gleichermaßen all unsere Errungenschaften kaputtzureden! Zu etabliert und gesellschaftsfähig haben wir die Rechten schon werden lassen. Setzen wir ihnen unsere Lebensentwürfe entgegen: eine Zukunft in Freiheit, Solidarität und Menschlichkeit! Ja, es gärt in mir. Und es sieht so aus, als bräche vielleicht noch ein völlig anderes Blog aus mir heraus, in dem es um eine solche Zukunftsgestaltung gehen könnte. Ich weiß, dass ich schon genug schreibe. Aber ich brauche ein Ventil. Um mir meine Romane zu beschützen, die in einem völlig anderen inneren Tempo wachsen müssen, als ich das im Innern spüre. Schon dieser Beitrag hat mir den Kopf geklärt - und ich kann zurückkehren zu Amanda, die etwas dilettantisch mit Buntstiften dem Dorfpfarrer einen sehr speziellen Garten entwirft. Obwohl oder weil sie nicht weiß, ob er ein Mörder ist. Erschreckend verschränkt sich die Fiktion auch wieder mit dem Leben.

PS: Keine Angst, ich verrate nicht zuviel vom Roman, auch wenn das auf den ersten Blick so klingen mag. Dafür abstrahiere ich hier zu sehr und vielleicht ist im Buch dann doch alles ganz anders ...

Lesetipp: Als die Welt noch friedlich und in Ordnung schien und eine Krise mit FreundInnen zu bewältigen war.

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